Genverschmelzungen sind die Treiber in bestimmten kindlichen Tumoren

Ependymome sind die dritthäufigste Hirntumorart bei Kindern und kommen insbesondere bei Kleinkindern vor. Sie wachsen oft sehr aggressiv und haben ein hohes Rückfallrisiko. Wissenschaftler des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg (KITZ), des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Universitätsklinikums Heidelbergs (UKHD) haben in Patienten neue Genverschmelzungen entdeckt, die krebstreibende Signalwege auslösen.

Mikroskopiebild von Zellen, in denen eine veränderte Form des Fusionsproteins C11orf95-RELA eingeschleust wurde
Zellen, in denen eine veränderte Form des Fusionsproteins C11orf95-RELA eingeschleust wurde (rot), um dessen biologische Funktionsweise zu untersuchen (Zellkerne in blau). Bild: Tuyu Zheng/KiTZ

Das "Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg“ (KiTZ) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Universität Heidelberg (Uni HD).

Ependymome treten überall im zentralen Nervensystem auf, finden sich bei Kindern jedoch häufig im Kopf. Charakteristisch für Ependymome im Bereich der sogenannten supratentoriellen Hirnregionen sind molekulare Veränderungen, bei denen zwei unterschiedliche Gene fusionieren und zu einer Aktivierung von Signalwegen führen, die das Tumorwachstum antreiben. Die häufigste dieser krebsfördernden Fusionen stellt dabei die Verbindung des bisher uncharakterisierten Gens C11orf95 mit dem Krebsgen RELA dar.

Ein internationales Team konnte nun in einer von Wissenschaftlern des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg (KiTZ) geleiteten Studie herausfinden, dass supratentorielle Ependymomen deutlich vielfältiger als angenommen sind und durch bisher unbekannte Genfusionen entstehen. Die Wissenschaftler analysierten die Tumortranskriptome der bisher weltweit größten Kohorte von Patienten mit supratentoriellen Ependymomen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Tumoren, die auf Basis ihres Aussehens unter dem Mikroskop schwierig zu diagnostizieren sind, häufig neue Genfusionen tragen“, erklärt David Ghasemi, medizinischer Doktorand am KiTZ und der Universität Heidelberg und einer der drei Erstautoren der Studie. Eine zentrale Rolle nimmt dabei das Gen C11orf95 ein, dessen genaue Funktionsweise bisher unbekannt war, und das in beinahe allen neu identifizierten Fusionen als Partnergen vorkommt. Das Team am KiTZ entwickelte für mehrere der neuen Fusionen die weltweit ersten Mausmodelle, auf deren Basis die Biologie dieser seltenen Tumoren besser untersucht werden konnte. „Bei der systematischen Analyse der Genfusionen, fiel uns auf, dass alle einen Abschnitt gemeinsam haben“, führt die Doktorandin Tuyu Zheng, eine der Erstautorinnen der Studie, aus. „Diese Abschnitte sind verantwortlich dafür, dass die neuen Fusionsproteine an die DNA binden und zelluläre Signalwege aktivieren, die zu Tumorentstehung und -wachstum beitragen.“

Durch die kombinierte Analyse der Patientendaten und aus den entwickelten Mausmodellen konnten die Wissenschaftler eine Reihe von Genen identifizieren, die durch die Fusionsproteine aktiviert werden. Darunter befand sich auch das bekannte Krebsgen GLI2. In Folgeversuchen fanden die Wissenschaftler heraus, dass eine Blockade dieses Gens das Überleben von Mäusen mit Genfusionen deutlich verlängerte. Co-Studienleiter Kristian Pajtler, Arbeitsgruppenleiter am KiTZ und am Deutschen Krebsforschungszentrum und Oberarzt am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) betont: „Für Patienten mit supratentoriellen Ependymomen gibt es im Moment keine personalisierten Therapiemöglichkeiten. Insbesondere, wenn Tumoren nach der ersten Behandlung zurückkommen, gehen uns deshalb oft schnell die Behandlungsmöglichkeiten aus. Auf der Basis dieser Studie haben wir nun molekulare Ziele, die in weiteren Studien als mögliche Angriffspunkte für neue Therapien untersucht werden können.“

Doch auch im Rahmen der Diagnostik sind die Ergebnisse dieser Studie wegweisend, wie Felix Sahm, Sektionsleiter der Molekularen Neuropathologie am Pathologischen Institut des UKHD und Co-Studienleiter, erklärt: „Ohne die in unserer Abteilung entwickelten Verfahren zur Untersuchung auf diesen Typ spezieller Erbgutveränderungen wäre die Identifizierung dieser seltenen Fusionsproteine unmöglich gewesen. Dies zeigt exemplarisch, wie wichtig die ständige Weiterentwicklung moderner, molekularer Diagnostik für die Behandlung von Patientinnen und Patienten in der Neuroonkologie ist!“

Auf Basis der Ergebnisse ihrer Studie wollen die Wissenschaftler am KiTZ nun herausfinden, ob Tumoren mit verschiedenen Genfusionen klinisch unterschiedliche Verläufe zeigen, und mit welchen Medikamenten die identifizierten therapeutischen Schwachstellen supratentorieller Ependymome angegangen werden können. Gemeinsam mit den Studien von Kooperationspartnern in Cambridge, UK und Houston, USA hat die Forschung der KiTZ-Wissenschaftler bereits Eingang in die Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) der Tumoren des zentralen Nervensystems gefunden und zur Umbenennung des bislang unbekannten Gens C11orf95 geführt.

Originalpublikation:

Tuyu Zheng, David R. Ghasemi, Konstantin Okonechnikov et al. Cross-species genomics reveals oncogenic dependencies in ZFTA/C11orf95 fusion-positive supratentorial ependymomas. In: Cancer Discovery (Online Publikation 20. April 2021). DOI: 10.1158/2159-8290.CD-20-0963

Dr. Alexandra Moosmann

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